15. Februar 2022 / News aus der Welt

Nach tödlichem S-Bahnunfall etliche Fragen offen

Nach dem Zusammenstoß zweier S-Bahnen auf einer eingleisigen Strecke nahe München konzentrieren sich die Ermittler auf menschliches Versagen als mögliche Ursache. Politiker sprachen den Opfern ihr Beileid aus.

Beim Zusammenstoß zweier S-Bahnen im Landkreis München sind am Montag ein Mensch getötet und mehr als zehn verletzt worden.
von dpa

Menschliches Versagen könnte die Ursache für den Zusammenstoß zweier S-Bahnen am Montag im Landkreis München gewesen sein.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sagte am Dienstag vor Journalisten im Landtag, die Ermittlungen konzentrierten sich auf diese Frage. «Nach gegenwärtigem Stand gibt es keine Hinweise darauf, keine Anzeichen dafür, dass es um technisches Versagen geht.» Im Moment möglicherweise eher im Vordergrund stehe, «dass einer der beiden Triebwagenführer, der Lokführer einen Fehler gemacht haben könnte».

Die beiden besetzten S-Bahnen waren am Montagnachmittag auf eingleisiger Strecke nahe dem Bahnhof Ebenhausen-Schäftlarn frontal zusammengestoßen. Ein 24-jähriger Mann starb, 18 Menschen wurden verletzt. Sechs Schwerverletzte waren am Dienstag noch in Kliniken, unter ihnen die beiden Lokführer, wie ein Polizeisprecher sagte. Sie seien noch nicht vernehmungsfähig.

Die Staatsanwaltschaft München, Landes- und Bundespolizei und die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) untersuchen den Unfall. Die Fahrtenschreiber beider Triebwagen wurden sichergestellt, Zeugen wurden vernommen.

Die Unfallstrecke ist nach Angaben aus Bahnkreisen mit einer elektronischen Sicherung ausgestattet. Die Technik überwache den Zugverkehr und könne Züge im Notfall automatisch bremsen. Nach Informationen der «Süddeutschen Zeitung» hat das System angeschlagen und mindestens einen Zug gebremst. Minister Herrmann sagte, auf Fernverkehrsstrecken werde schon modernere Streckenüberwachung eingesetzt, die ständig feststellt, wo sich ein Zug befindet und wie der Abstand zum nächsten Zug ist.

Die S-Bahn aus München Richtung Wolfratshausen sei etwa zehn Minuten zu spät gewesen, sagte Bundespolizei-Sprecher Wolfgang Hauner. Ob es einen Zusammenhang mit dem Unfall gebe, sei völlig offen. Anwohner hatten berichtet, eine Bahn habe vergleichsweise lange am Bahnhof gestanden. Die Deutsche Bahn teilte mit, sie unterstütze die Ermittlungsarbeiten der zuständigen Behörden.

Der Unfallort wurde mit Drohnen aus der Luft fotografiert - für die Ermittlungen, aber auch zur Vorbereitung der Bergung. Diese werde nicht vor Mittwoch beginnen, sagte ein Polizeisprecher. Die Bahnstrecke bleibt bis auf Weiteres gesperrt, ebenso die Bundesstraße, die unterhalb der Unfallstelle vorbeiführt. Wie es hieß, muss auch die Statik des Bahndamms geprüft werden. Die Bahn richtete einen Ersatzverkehr mit Pendelbussen und -Taxis ein.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und andere Politiker sprachen den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus. «Wir trauern als Staatsregierung und ich ganz persönlich mit den Angehörigen», sagte Söder nach einer Kabinettssitzung in München. Er bete für eine baldige Genesung der Verletzten. Söder dankte auch den rund 800 haupt- und ehrenamtlichen Helfern.

Die beiden S-Bahnen waren am Montag mit insgesamt 95 Fahrgästen gegen 16.35 Uhr im Berufsverkehr kollidiert. Mehrere Zugteile sprangen aus den Gleisen. Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und Technisches Hilfswerk waren im Einsatz.

Der Bürgermeister von Schäftlarn, Christian Fürst (CSU), zeigte sich tief betroffen. Das Unglück habe ihn sprachlos gemacht. Er danke den zahlreichen Rettungskräften, die schnellstens geholfen hätten.

Im August vergangenen Jahres waren zwei S-Bahnen auf derselben Strecke bei Icking aufeinander zugefahren, konnten aber in letzter Sekunde noch einen Zusammenstoß verhindern. Im oberbayerischen Bad Aibling waren im Februar 2016 zwei Züge der Bayerischen Oberlandbahn kollidiert, zwölf Menschen wurden getötet. Unfallursache war menschliches Versagen: Ein Fahrdienstleiter hatte mit dem Handy gespielt und dabei falsche Signale gesetzt. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Das Schienennetz in Deutschland ist dem Verband Allianz pro Schiene zufolge 38 400 Kilometer lang, «davon ist etwa die Hälfte eingleisig». Die Gefahr eines tödlichen Unfalls sei aber 57-mal geringer als im Auto, das Risiko einer schweren Verletzung 150-mal geringer. 2020 habe das Eisenbahn-Bundesamt lediglich drei Kollisionen zwischen Schienenfahrzeugen in Deutschland vermeldet, bei täglich etwa 40 000 Zugfahrten.

«Anders als im Straßenverkehr fahren Züge nicht auf Sicht. Der Zuglauf wird auch auf eingleisigen Strecken von der Betriebszentrale überwacht», teilte die Allianz pro Schiene mit. Wenn Triebfahrzeugführer zu schnell fahren oder Signale missachten, komme es zu einer automatischen Zwangsbremsung. Bei Störungen könne ein Zug ein Haltesignal auf Anweisung des Fahrdienstleiters aber überfahren.

Die Deutsche Bahn und der Elektrokonzern Siemens planen, immer mehr S-Bahnen digital gesteuert vollautomatisch fahren zu lassen - zunächst in Hamburg, später auch in anderen Netze in Deutschland. Allerdings sind Ausbauten wegen langer Planungsphasen und Platzmangels in Ballungsräumen oft schwierig.


Bildnachweis: © Matthias Balk/dpa
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