Unterschiede beim Gang und bei der Breite und Höhe des Gesichts und den Ohrläppchen: Im Prozess um explosive Postsendungen an mehrere Lebensmittelfirmen in Baden-Württemberg und Bayern hat ein Sachverständiger der Verteidigung erhebliche Zweifel an der Täterschaft geäußert. Der 66 Jahre alte Angeklagte sei nicht die Person, die auf Aufnahmen in einer Poststelle in Ulm zu sehen sei, sagte der anthropologische Gutachter am Freitag vor dem Landgericht Heidelberg. «Beide sind höchstwahrscheinlich nicht identisch.» Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage zweifelten hingegen die Aussagen des Experten an. Der Angeklagte ist auf freiem Fuß, weil kein dringender Tatverdacht mehr besteht. Er hatte zum Prozessauftakt die Tat bestritten. Der Gutachter sollte im Auftrag der Verteidigung nach einem Abgleich von Körpermerkmalen feststellen, ob ein Video aus der Überwachungskamera den Angeklagten zeige. Basis ist die Aufnahme eines Mannes in einer Poststelle, in der die Paketbomben aufgegeben worden waren. Dieser habe einen langsamen und schwerfälligen Gang, sagte der Sachverständige. «Der Angeklagte hat einen leichten und geraden Gang.» Er sei federnd unterwegs. Außerdem habe er gerade Schultern. Der Mann auf dem Video, der eine FFP2-Maske, eine Brille, einen Schal und eine Kappe trug, habe hingegen abfallende Schultern. Beide hätten einen leichten Bauchansatz. Der Staatsanwalt zweifelte die Aussagen des Sachverständigen an. «Der Mensch in der Postfiliale will nicht erkannt werden», sagte er. Außerdem könne er sich verstellen. Der Gutachter räumte dies ein und sagte: «Da kann ich darauf reinfallen.» Aber Ohrläppchen könne man nicht verstellen. Hier gebe es Unterschiede bei den Ohrtrichtern. Auch der vorsitzende Richter fragte kritisch nach. «Wie kann man die Breite eines Gesichts beurteilen? Der Postkunde trägt eine Maske.» Der Sachverständige sagte, er treffe seine Einschätzungen gleichfalls aufgrund von Erfahrungen. Der Richter zitierte eine andere Expertin, die meinte, dass das Bildmaterial nicht gut genug sei für Aussagen über einen Identitätsausschluss. Ihrer Meinung nach gebe es eher Merkmale, die sich ähnelten. Der Gutachter der Verteidigung meinte hingegen, so viele Hinweise auf die fehlende Übereinstimmung der beiden Männer dürfe man nicht einfach unter den Tisch kehren. Vor der Vernehmung des Experten hatte ein Polizist aus Ulm ausgesagt. Er berichtete von der Festnahme des Mannes. Dieser habe schon damals erklärt, dass er unschuldig sei und sich nichts vorzuwerfen habe. Der 66-Jährige wurde Mitte Februar festgenommen. Die Anklage wirft dem Mann das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, gefährliche Körperverletzung und versuchte schwere Körperverletzung vor. Sie ging bislang davon aus, dass er die Sprengvorrichtungen selbst gebaut hat. Der Rentner habe Geld von den Firmen erzwingen wollen. Die Serie der explosiven Postsendungen hatte am 16. Februar in Eppelheim begonnen. Dort war in der Warenannahme des Getränkeherstellers ADM Wild ein Mann durch eine Verpuffung verletzt worden, als er ein Paket annahm. Am Folgetag kam es beim Öffnen eines Briefes in der Lidl-Zentrale in Neckarsulm zu einer Explosion mit drei Verletzten. Ein drittes Paket, das an den Babynahrungshersteller Hipp im oberbayerischen Pfaffenhofen an der Ilm adressiert war, wurde in einem Paketverteilzentrum am Flughafen München abgefangen.
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Paketbomben-Prozess: Gutachter entlastet Angeklagten
Steckt ein 66-jähriger Rentner hinter einer Serie von Paketbomben? Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt. Die Verteidigung sieht den Elektriker indes unschuldig auf der Anklagebank.
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