20. Juli 2021 / News aus der Welt

Was bringen Warnungen? Wie Menschen mit Alarmen umgehen

Nach der Hochwasserkatastrophe diskutiert die Politik über frühere und präzisere Warnungen. Schön und gut. Aber Hand aufs Herz: Wer erwartet wirklich eine Flut, nur weil die Warn-App mal wieder Töne von sich gibt?

von Marco Krefting, dpa

Wenn in Kriegsgebieten die Sirenen heulen, suchen die Menschen Schutz in Bunkern. Wenn in Deutschland Sirenen heulen, gehen die meisten wohl eher von einem Testlauf aus.

Nun mag der Vergleich weit hergeholt klingen. Doch mehrfach wurden die Bilder von Trümmern und Kratern, die die Hochwasserfluten der vergangenen Tage hinterlassen haben, mit Überresten nach einem Krieg assoziiert.

Warum aber haben wohl die wenigsten mit einer Flutkatastrophe gerechnet, als die Warn-Apps in der letzten Woche auf den Smartphones surrten und Starkregen ankündigten. Warum gehen Leute noch eine Runde joggen, wenn Meteorologen vor Gewittern warnen? Frei nach dem Motto: Der Kelch wird schon an mir vorübergehen.

Aus Sicht von Ortwin Renn, Experte für Umwelt- und Risikosoziologie, liegt das vor allem daran, dass Deutschland bisher weitgehend gut davongekommen ist, wenn es um Naturgefahren geht. Zwar bleiben Sachschäden, selten aber geht es um so viele Menschenleben. «Wir haben eine lange Erfahrung damit, dass es glimpflich ausgeht», sagt der Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Selbst hochwassererprobte Menschen gingen oft davon aus, bei einer Warnung reiche es, Sandsäcke vor die Türen zu legen.

Zudem würden Deutsche auch in Umfragen eher technische Gefahren nennen, vor denen sie sich fürchten. «Natur kommt eher als Park mit Enten und Schwänen daher», sagt der Professor. «Nicht als Naturkraft mit Gewalten.» In Italien etwa hätten die Menschen angesichts von Erdbeben ein anderes Verhältnis dazu, sagt Renn. Er vergleicht das mit der Corona-Pandemie: «Alle anderen Epidemien der vergangenen Jahrzehnte sind an uns vorbeigegangen.» Anfangs hätten viele Corona unterschätzt. «Dann haben sie gemerkt: Wir sind doch verwundbar.»

Nun diskutiert die Politik über den Bevölkerungsschutz in Deutschland und darüber, ob früher und präziser gewarnt werden kann. Sehr genau vorhersagen lassen sich örtliche Starkregenereignisse aber nicht. «Selbst mit der besten Meteorologie nicht», betont Renn. «Eine etwas realistischere Einschätzung über Plötzlichkeit und Gewalt von Unwettern muss stärker ins Bewusstsein dringen.»

Risikokompetenz nennt Gerd Gigerenzer das. Der Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Universität Potsdam hat sich unter anderem der Frage gewidmet, warum wir fürchten, von einem Hai gefressen zu werden - aber keinen Gedanken daran verschwenden, dass wir auf dem Weg zum Strand bei einem Autounfall sterben könnten. Teils hänge es mit «biologischem Lernen» zusammen, teils mit «sozialem Lernen», schreibt er in seinem Buch «Risiko».

Als Beispiel nennt der Professor die Angst mancher vor Schlangen und Spinnen, obwohl die wenigsten hierzulande giftig sind. «Müssten wir durch persönliche Erfahrung lernen, ob von einem Tier eine tödliche Gefahr ausgeht, hätten wir eine höchst begrenzte Lebenserwartung», schreibt er. «Das Angstobjekt ist genetisch «vorbereitet», doch um die Angst zu aktivieren, bedarf es eines sozialen Impulses.»

Wichtig ist aus Sicht Gigerenzers, Risiken gut einschätzen zu können - selbst wenn nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen. Als erstes nennt er in seinem Buch ausgerechnet Wetterberichte und dass viele nicht wüssten, wie sie Regenwahrscheinlichkeiten korrekt interpretieren müssen. Teils mangele es an der nötigen Ausbildung in den Schulen, moniert Gigerenzer. Teils hätten aber auch Experten nie gelernt, Wahrscheinlichkeiten richtig zu erklären.

Und selbst wenn: Menschen ticken unterschiedlich. Die einen sind eher in Alarmbereitschaft, die anderen relaxter. Eigentlich müsste man sie unterschiedlich ansprechen, sagt Renn. Den einen klar machen, dass auch sie von einem heftigen Unwetter getroffenen werden können. Den anderen, dass nicht jeder Regenschauer zu Hochwasser führt.

Zumal zu viel Panik auch keine Lösung ist. Ohne die Annahme, dass man selbst schon davonkommt, dass die Katastrophe einen selbst nicht trifft, wären wir nicht handlungsfähig «vor lauter imaginierten und möglichen Katastrophen, die einträten könnten», formuliert Psychologin Isabella Heuser. Einen psychologischen Schutzmechanismus nennt die Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychologische Medizin an der Charité Berlin das.

Andersrum stumpften Menschen ab und gewöhnten sich an den Alarm, wenn ständig Warnungen gegeben werden, erläutert die Professorin. «Zumal wir seit einem Jahr beständig vor Gefahren (Pandemie) gewarnt werden.» Sie bezeichnet das als Katastrophen-Burnout.

Also düstere Aussichten? Umweltsoziologe Renn meint: «Je mehr die Hochwasserereignisse verblassen, desto eher werden wir wieder in alte Routinen übergehen.» Er empfiehlt Übungen, «um uns wachzuhalten». Viele wüssten gar nicht, wie man sich in einer solchen Situation verhalten müsste, dass man zum Beispiel nicht unbedingt noch die Fotoalben im Keller ins Trockene bringen sollte.

Und es lohne sich, über besondere Warnstufen nachzudenken, sagt er. «Wenn die App jeden Tag warnt, denkt man sich: "Na und?"». Hier könnte eine weitere Alarmschwelle hilfreich sein - auch wenn präzise Aussagen, wo Katastrophen drohen, nur sehr kurzfristig möglich seien.


Bildnachweis: © picture alliance / Peter Steffen/dpa
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