12. September 2024 / News aus der Welt

Sepsis: Lebensbedrohlich und doch oft übersehen

Eine Sepsis ist ein medizinischer Notfall und kann lebensbedrohlich sein. Besteht ein Verdacht, zählt jede Minute. Doch bei der Erkennung gibt es erhebliche Defizite, wie eine Studie zeigt.

Eine Sepsis ist ein medizinischer Notfall, der so schnell wie möglich behandelt werden muss. (Archivbild)
von Mia Bucher, dpa

Eine Sepsis ist eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. Jedes Jahr sind 230.000 Menschen von einer Sepsis betroffen, mindestens 85.000 sterben daran, wie das Aktionsbündnis Patientensicherheit informiert. Sepsis wird auch oft Blutvergiftung genannt. Es wird davon ausgegangen, dass viele Fälle nicht erfasst werden und die tatsächliche Zahl der Erkrankten deutlich höher liegt.

«Die Sepsis ist eine lebensbedrohliche Abwehrreaktion des Körpers auf eine Infektion, die sich über den ganzen Körper ausbreitet», erklärt Wolfgang Bauer, Notfallmediziner am Campus Benjamin Franklin der Berliner Charité. Auslöser kann laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) grundsätzlich jede Infektion sein, zum Beispiel eine Lungenentzündung, eine Harnwegsinfektion, eine Entzündung im Bauchraum oder eine entzündete Wunde. «Der Organismus ist nicht mehr in der Lage, die Infektion einzudämmen und es kommt zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems», so der Arzt.

Immunsystem attackiert sich selbst

Die Folge: «Das Immunsystem reagiert über und fängt an, sich selbst zu attackieren», erklärt der Notfallmediziner. Dadurch würde nicht nur die Infektion bekämpft, sondern der eigene Körper. «Dies kann übergehen in einen septischen Schock mit Multiorganversagen und verläuft unerkannt oder unbehandelt häufig tödlich», so Bauer. «Das ist eine sehr, sehr emotionale Situation, wenn man sieht, wie der Patient trotz maximaler Therapie nicht gerettet werden kann.»

Eine Sepsis sei daher wie ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt ein medizinischer Notfall, der so schnell wie möglich behandelt werden müsse. «Je früher sie erkannt wird, desto besser kann sie behandelt werden», sagt Bauer. 

Sepsis-Verdacht laut Studie kaum erfasst

Häufig werden Sepsis-Fälle vom Rettungsdienst allerdings nicht erkannt. Das haben Bauer und die Gesundheitswissenschaftlerin Silke Piedmont in einer gemeinsamen Studie herausgefunden, die im Februar veröffentlicht wurde. Dafür haben sie rund 221.500 Rettungsdiensteinsätze in Krankenkassendaten und rund 110.420 Einsätze in sogenannten Rettungsdienstprotokollen des Jahres 2016 in Deutschland analysiert. Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, wie häufig eine Sepsis im Rettungsdienst tatsächlich festgestellt wird und welche Methoden sich dafür besonders eignen. 

Die Ergebnisse sind besorgniserregend. «Die Sepsis wurde viel zu selten und im Falle des nicht-ärztlichen Rettungspersonals kein einziges Mal als Verdacht erfasst», sagt Bauer. Notärztinnen und Notärzte dokumentierten demnach nur in 0,1 Prozent der untersuchten Fälle den Verdacht auf einen septischen Schock. 

Hohe Mortalitätsrate

Die Studie zeigt außerdem, dass der Anteil der Patienten im Rettungsdienst, bei denen im Krankenhaus eine Sepsis diagnostiziert wurde (1,6 Prozent), nur leicht unter dem von Herzinfarkten (2,6 Prozent) und Schlaganfällen (2,7 Prozent) lag, es bei der Mortalitätsrate aber deutliche Unterschiede gab. Demnach starben fast 32 Prozent von allen Sepsis-Patienten innerhalb von 30 Tagen nach der Nutzung des Rettungsdienstes, beim Herzinfarkt waren es rund 13 Prozent, beim Schlaganfall rund 12 Prozent.

Rettungsdienstpersonal sollte deutschlandweit eigentlich eine standardmäßige Anweisung haben, bestimmte Vitalparameter zu messen, erklärte Piedmont, Erstautorin der Publikation und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zentralen Notaufnahme der Charité am Campus Benjamin Franklin. Dazu zählten die Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffgehalt im Blut, Körpertemperatur, Atemfrequenz und eine mögliche Veränderung des Bewusstseins. «Diese Parameter können einen sehr guten Hinweis darauf geben, ob eine Sepsis vorliegt.» Oft werde aber noch nach Bauchgefühl entschieden. 

Syndrom nicht ausreichend bekannt

Um das zu ändern, sei zunächst einmal wichtig, dass überhaupt an eine Sepsis als mögliche Diagnose gedacht werde, meint Bauer. Allgemein fehle es noch an Bewusstsein für das Syndrom, auch in der Bevölkerung sei es nicht ausreichend bekannt. Zu den Symptomen zählten vor allem eine plötzliche Wesensveränderung oder eine Veränderung des Bewusstseins, zum Beispiel Verwirrtheit, ein niedriger Blutdruck und ein schneller oder erniedrigter Puls. Auch eine niedrige Sauerstoffsättigung, Kurzatmigkeit und eine niedrige oder erhöhte Körpertemperatur seien Merkmale.

Um eine Sepsis zu diagnostizieren, kann das Rettungsdienstpersonal zur Unterstützung verschiedene Messinstrumente nutzen, die Vitalparameter abfragen und daraus Maßnahmen ableiten. Ein Bewertungssystem aus verschiedenen Messungen, das sogenannte National Early Warning Score 2 (NEWS2), erkennt der Studie zufolge fast drei Viertel der Sepsis-Fälle. In Deutschland werde diese Art der Überprüfung in der Sepsis-Leitlinie aber nicht genannt und kaum eingesetzt.

Auch Menschen, für die eine Sepsis nicht tödlich endet, leiden sehr häufig an Lang- und Spätfolgen, wie Piedmont erklärt. Das können etwa Konzentrationsprobleme und Seh- oder Sprachstörungen, aber auch Depressionen sein. Bei einigen Menschen sind den Angaben zufolge Amputationen notwendig, weil Finger oder ganze Gliedmaßen absterben. «Sepsis kann jeden treffen», sagt die Gesundheitswissenschaftlerin. Umso wichtiger sei es, mehr Bewusstsein für die Existenz und die Folgen des Syndroms zu schaffen.

Schutz bieten Hygiene und Impfungen

Am besten vor einer Sepsis schützen können sich Menschen nach BZgA-Informationen, indem sie versuchen, Infektionen vorzubeugen. Wichtig seien etwa regelmäßiges und gründliches Händewaschen, eine gute Toilettenhygiene und ein sorgfältiger Wundschutz. Außerdem gebe es gegen einige der häufigsten Auslöser einer Sepsis Impfungen, zum Beispiel gegen Pneumokokken, Meningokokken oder die Grippe.


Bildnachweis: © Frank Molter/dpa
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