19. November 2021 / News aus der Welt

Hospitalisierungsinzidenz: Ein wichtiger Wert mit Tücken

Braucht ein Bundesland härtere Corona-Regeln? Das soll künftig anhand einer Kennzahl entschieden werden, bei dem es um die Belastung von Kliniken geht. Doch der Wert ist mit Vorsicht zu genießen.

Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen wird mit den neuesten Regelungen nun noch wichtiger.
von Anja Garms und Sascha Meyer, dpa

«Ganz Deutschland ist ein einziger großer Ausbruch», sagte der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Freitag in Berlin - und forderte schärfere Maßnahmen.

Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, legten Bund und Länder am Donnerstag unter anderem neue Alarmwerte für Beschränkungen fest, die auf der sogenannten Hospitalisierungsinzidenz auf Bundeslandebene beruhen. Aber ist dieser Wert der richtige im Kampf gegen Corona?

Was genau wurde beschlossen?

Bund und Länder vereinbarten einen neuen Krisenmechanismus. Beim Überschreiten bestimmter Belastungsschwellen der Kliniken in einem Bundesland sollen dort schärfere Corona-Maßnahmen greifen - nach bundesweit einheitlichen Regeln. Dafür soll es künftig drei Stufen geben. Stufe 1 bedeutet flächendeckende Zugangsregeln nur für Geimpfte und Genesene (2G) etwa zu Veranstaltungen, der Gastronomie, beim Friseur oder in Hotels - sofern das nicht schon gilt. Bei Stufe 2 sollen auch für Geimpfte und Genesene zusätzlich Testnachweise oder andere Maßnahmen gelten (2G plus), etwa in Discos und Bars. Stufe 3 heißt, dass - nach einem Landtagsbeschluss - weitere rigide Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen oder Veranstaltungsverbote kommen sollen.

Auf welche Zahl soll geschaut werden?

Orientierungsgröße ist die Hospitalisierungsinzidenz, die das RKI laufend für jedes Land ausweist. Erfasst werden die gemeldeten Krankenhausaufnahmen von Corona-Patienten pro 100.000 Einwohner in einem Sieben-Tage-Zeitraum - auf allen Stationen. Die Daten beziehen sich auf den Wohnort der Patienten. Als wesentliche Lage-Messlatte gilt der Wert schon seit September, da die reinen Fallzahlen wegen der Impfungen als nicht mehr so aussagekräftig gelten. Nur war bisher offen, wann es kritisch wird: «ein zahnloser Tiger», wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) monierte. Bund und Länder legten nun fest, welche Schwellen die drei Reaktionsstufen auslösen - nämlich das Überschreiten der Hospitalisierungswerte von 3, 6 und 9.

Wie funktioniert das vor Ort?

Die genaue Umsetzung liegt jetzt bei den Landesregierungen. Sie können Detailregelungen treffen und laut Infektionsschutzgesetz etwa auch innerhalb des Landes regional differenzieren. Noch als Rahmen festgelegt wurde aber, dass Verschärfungen aufgehoben werden können, «sofern der Schwellenwert an fünf Tagen in Folge unterschritten wird». Der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) riet auch mit Blick auf gewissen Zeitverzug bei Klinikmeldungen im Zweifel zu einem Vorab-Puffer beim Gegensteuern: «Deswegen empfehle ich auch nicht, wenn man bei 2,89 ist, zu warten bis es 3,01 ist.»

Welche Tücken hat die Zahl?

Das größte Problem bei der Beurteilung der aktuell angegebenen Hospitalisierungsinzidenz ist der Meldeverzug. Der ist deutlich größer als etwa bei den täglich gemeldeten Neuinfektionen. Das heißt: Kommt ein Corona-Patient neu in eine Klinik, kann es dauern, bis das zuständige Gesundheitsamt und nachfolgend das RKI davon erfahren. Dieser Tatsache ist sich das RKI durchaus bewusst: Die Behörde betrachtet den aktuellen Hospitalisierungswert deshalb 14 Tage lang unter Vorbehalt.

Die Hospitalisierungsrate sei weder eine aktuelle Zahl, noch spiegele der Wert die tatsächliche Belastung der Krankenhäuser wider, kritisierte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz mit Blick auf die Einführung der neuen Grenzwerte. Auch eine Expertengruppe vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung urteilte Ende Oktober in einem Positionspapier, dass sich die Hospitalisierungsrate nicht als Entscheidungsgrundlage für ein angemessenes Pandemie-Management eigne. Ihren Berechnungen zufolge habe die Abweichung zwischen der ausgewiesenen und der tatsächlichen Hospitalisierungsinzidenz - mit Nachmeldungen - in den vergangenen Monaten bei rund 48 Prozent gelegen.

Als problematisch erachten Experten auch die Tatsache, dass das Geschehen in den den einzelnen Bundesländern aufgrund der Unterschiede beim Melden kaum miteinander vergleichbar ist. Theoretisch ist es möglich, dass bei einer eigentlich gleichen Rate an Krankenhauseinweisungen die offizielle Inzidenz in einem Bundesland noch im grünen Bereich liegt, während sie in einem anderen bereits deutlich darüber liegt - nur weil ein Land langsamer meldet als ein anderes.

Wie kommt es zu dem Meldeverzug?

Hauptursache ist nach Ansicht der Deutsche Krankenhausgesellschaft ein Defizit in der Erfassung der Daten. «Bis heute gibt es kein digitales Meldeverfahren, in dem die Krankenhäuser täglich über eine Software an die Gesundheitsämter melden», sagt Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß. «Das passiert auf Papier, per Fax, und ist der Grund für die teils hohen Unterschiede. Die Realität wird hier nicht immer abgebildet.» Die Defizite müssten dringend beseitigt werden, um ein einheitliches Meldeverfahren und vergleichbare Hospitalisierungsraten zu bekommen.

Was bedeutet das für die Beurteilung des Infektionsgeschehens?

Als alleinige Grundlage für die Einführung von strengeren Maßnahmen - also etwa 2G Plus ab einem Wert von 6 - ist die Hospitalisierungsinzidenz vielen Experten zufolge nicht ausreichend. Die Inzidenz der Neuinfektionen müsse ebenso wie die aktuelle Belegung der Intensivstationen mit Covid-Patienten und Patientinnen weiterhin als Informationskriterium genutzt werden, um vorausschauend zu planen, sagt Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen.

Patientenschützer Brysch fordert ein «Covid-19-Radar» für die Kliniken, der tagesaktuelle Parameter in den Blick nehme. Dazu gehörten Corona-Infizierte, Covid-19-Erkrankte, Corona-Verstorbene und die Auslastung aller Stationen.

RKI-Präsident Lothar Wieler betonte, dass die Inzidenzen und die Auslastung der Intensivstation weiterhin entscheidende Kriterien bei der Beurteilung des Infektionsgeschehens blieben. «Es gibt drei wichtige Faktoren: Die Inzidenzen reflektieren die Infektionsdynamik, das ist der früheste. Das zweite ist die Hospitalisierung, die reflektiert die Schwere des Krankheitsgeschehens. Das dritte dann ist die Rate auf der ITS (Intensivstation) - die ist ein Indikator für die Belastung des Gesundheitssystems und natürlich haben die Leute das alles im Blick, ganz sicher.»


Bildnachweis: © Julian Stratenschulte/dpa
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