9. Februar 2022 / News aus der Welt

Lkw verwüstet Wohnstraße - «Sieht aus wie nach einem Krieg»

Ein Sattelauflieger verwüstet eine Straße in Fürth, schiebt Autos in Hauswände, Flammen lodern. Einen Tag später sind die Anwohner noch immer fassungslos - und viele Fragen offen.

Feuerwehleute sind nach der Chaosfahrt eines Lastwagenfahrers in Fürth im Einsatz.
von Irena G

Die Fassade des Hauses ist schwarz vom Ruß, die Fenster sind gesprungen, die Tür provisorisch mit Brettern zugenagelt. Trümmerteile und Glassplitter liegen überall herum.

«Funken sprühten, dann ging alles in Flammen auf», berichtet die Anwohnerin Canan Bozdogan über das Geschehen der vergangenen Nacht. Bewohnerinnen und Bewohner der Straße in Fürth stehen schockiert draußen und können noch immer nicht glauben, welche Verwüstung ein betrunkener Sattelzugfahrer am Abend zuvor angerichtet hat. Drei Verletzte, 34 beschädigte Autos, ein Haus vorerst unbewohnbar - so lautet die Bilanz der Polizei am Ende der Irrfahrt.

«Es sieht aus wie nach einem Krieg», sagt Bozdogan. Die junge Frau war am Dienstagabend gerade dabei, Abendessen für ihre beiden Kinder vorzubereiten, als sie einen lauten Knall hörte. Als sie aus dem Küchenfenster blickte, sah sie einen Lastwagen, der wie außer Kontrolle mit 26 Tonnen Stahlteilen auf der Ladefläche die Straße herunter donnerte, gegen parkende Autos krachte und diese vor sich her gegen Hauswände schob.

Terrorakt ausgeschlossen

Die Beamten nahmen den 50-jährigen Fahrer fest. Er wurde einem Ermittlungsrichter vorgeführt, der Untersuchungshaft anordnete. Gegen den Mann, der bisher zum Hergang nichts sagte, wird wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, fahrlässiger Körperverletzung, fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Brandstiftung ermittelt. Ein Atemalkoholtest hatte laut Polizei einen Wert von rund zwei Promille ergeben, sagte ein Polizeisprecher. Das Ergebnis einer Blutprobe stand noch aus.

Die Bergung des Sattelaufliegers gestaltete sich zunächst schwierig. Experten mussten zunächst 26 Tonnen Stahlteile von der Ladefläche entfernen. Am Abend gelang es, den umgekippten Lastwagen aufzurichten und die Zugmaschine und Auflieger getrennt voneinander abzuschleppen.

Die Polizei legte sich aber bereits auf einen Unfall als Ursache für die Verwüstung fest. Ein Terrorakt könne ausgeschlossen werden, sagt der Leiter der Fürther Polizeiinspektion, Bernd Wolf. Um die Höhe des Sachschadens zu beurteilen, sind Gutachter im Einsatz. Doch schon am Mittwoch war klar: Mehrere Hunderttausend Euro dürften es mindestens sein. Sollte die Statik eines der Häuser so stark in Mitleidenschaft gezogen worden sein, dass es abgerissen werden muss - dann dürfte die Schadenshöhe schnell in die Millionen klettern.

Viele Fragen sind noch offen offen: Wieso raste der Fahrer erst über eine rote Ampel, stieß mit einem Auto zusammen und fuhr dann einfach weiter die Straße hinunter? War er wegen seines Alkoholpegels unzurechnungsfähig? Oder gab es einen technischen Defekt? Die Polizei ermittelt gegen den Mann wegen Körperverletzung, Unfallflucht und fahrlässiger Brandstiftung.

Während ein älterer Herr am Vormittag bereits die Scherben vom Gehweg vor seinem Haus fegt und eine andere Nachbarin Fenster putzt, steht Ahmet Sugurlu zwischen den Absperrungen und gibt ein Interview nach dem anderen. Der junge Mann, der in einem Eckhaus wohnt, war als einer der ersten Helfer auf der Straße. Er habe erst einem orientierungslosen Mann geholfen und dann den Lastwagenfahrer von den brennenden Fahrzeugen weggetragen, erzählt er.

«Es sah aus, wie auf einem Schlachtfeld»

Der junge Mann ist selbst bei der freiwilligen Feuerwehr in Fürth, war an dem Abend aber eigentlich nicht im Einsatz. Noch immer kommt es ihm unwirklich vor, was vor seiner Haustür passiert ist. «Man kann es kaum in Worte fassen, wie es gestern hier aussah, wie auf einem Schlachtfeld», sagt er und zeigt auf ein Haus, bei dem an vielen Fenstern die Rollläden in der großen Hitze geschmolzen sind. Ein Glück sei, dass das Unglück so spät passiert sei, meint Sugurlu. «Normalerweise ist die Straße sehr belebt.»

Auch Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) spricht von einem Wunder, dass es keine Toten gegeben habe. Der Politiker wohnt ganz in der Nähe der verwüsteten Straße und hat sich aufgeschreckt von den vielen Sirenen am Dienstagabend auf sein Fahrrad geschwungen. «Ich habe eine Szenerie gesehen, wie ich sie eigentlich nur aus Filmen von Terroreinsätzen in amerikanischen Großstädten kenne», sagt er. Es sei unfassbar, was ein einziger Lkw außer Kontrolle anrichten kann.

Deshalb fordert Jung, Konsequenzen aus dem Vorfall zu ziehen. «Man muss sich wirklich Gedanken machen, wie das mit Lkw-Gefahren in großstädtischen Wohngebieten ausschaut. Aber das ist keine Sache, die die Stadt Fürth entscheiden kann. Das müssen sich Menschen in den Ministerien anschauen.»

Eine Spezialfirma rückte mit einem Kran an, um den tonnenschweren Sattelzug abzutransportieren. Einige schrottreife Autos konnten die Einsatzkräfte noch in der Nacht bergen. Die Reparaturarbeiten in der Straße werden sich allerdings noch länger hinziehen.


Bildnachweis: © Berufsfeuerwehr Fürth/dpa
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