18. Juni 2021 / News aus der Welt

Über Bahnlärm und wie er erfasst wird

Zuglärm gilt als starke Lärmquelle in Deutschland. Doch immer mehr Verkehr soll auf die Schiene. Nun wird neu berechnet, wie laut es wirklich entlang der Gleise ist.

Auf der Bahnstrecke Karlsruhe-Mannheim fährt ein Zug an Häusern vorbei.
von Marco Krefting, dpa

«Die ICEs sind das Schlimmste», sagt Margit Rödder. Wenn die schnellen Züge der Bahn vor ihrem Haus vorbeirauschen, nervten vor allem die Windgeräusche. Die Zimmer der Töchter haben Fenster zu den Gleisen raus. «Die machen im Sommer kein Fenster auf.»

Als Rödder und ihr Mann vor zehn Jahren ein Haus in Graben-Neudorf kauften, zogen sie damit auch an die Bahnstrecke Karlsruhe-Mannheim. Das war klar. «Die Bahn war schon da, wir leben mit der Bahn», sagt Rödder. Doch nun soll die Bahnstrecke vierspurig werden. Um mehr Güter auf Schienen zwischen den Regionen und den Hochseehäfen Rotterdam und Genua zu transportieren, plant die Deutsche Bahn die Erweiterung. «Das Schienennetz zwischen Mannheim und Karlsruhe zählt zu den wichtigsten Bahnverbindungen Europas», heißt es dort.

Die Bürgerinitiative Karlsruhe-Molzau, die Rödder mitgegründet hat, erwartet eine Verdreifachung der Güterzüge auf 660 pro Tag - das wäre rechnerisch etwa alle zwei Minuten einer. Neben mehr Feinstaub und Enteignungen entlang der Trasse fürchten die Menschen auch mehr Lärm.

Lärm kann nach Angaben des Umweltbundesamts (UBA) zu schweren gesundheitlichen Schäden führen: Schwerhörigkeit, Tinnitus, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen seien mögliche Folgen, Blutfett- und Blutzucker-Werte könnten beeinflusst werden. Der durch Lärm ausgelöste Stress wirke sich auch auf das Nervensystem aus.

Laut UBA ist Schienenverkehr eine «bedeutende Lärmquelle» in Deutschland. «Über ein Drittel der deutschen Bevölkerung fühlt sich durch Schienenverkehrslärm gestört oder belästigt.» Rund eine Million Menschen ist demnach in deutschen Ballungsräumen entlang von Gleisen und an Bahnlinien mit einem Verkehrsaufkommen von mindestens 30 000 Zügen pro Jahr ganztags Pegeln von mehr als 65 Dezibel ausgesetzt. Nachts seien über zwei Millionen Menschen mit Pegeln von mehr als 55 Dezibel belastet. So viel geht etwa von einem Kühlschrank aus.

Wie laut es entlang von Bahnstrecken ist, kann man auf Lärmkarten des Eisenbahn-Bundesamts (EBA) sehen. Gerade arbeiten die Firmen Disy, Afry und Soundplan an der aktuellen Übersicht, die bis Sommer 2022 veröffentlicht sein soll. Dafür stehen die Mitarbeiter aber nicht mit Messgeräten an den Gleisen. «Eine punktuelle Messung wäre nur eine Momentaufnahme und mit Blick auf die Lärmbelastung auch gar nicht zielführend», erklärt eine Sprecherin des Karlsruher Softwareunternehmens Disy Informationssyteme GmbH, das sich auf Datenmanagement und Analysen mit Geobezug spezialisiert hat.

Stattdessen füttern die Experten ihre Rechner mit allerhand Daten: Wo fahren welche Züge und wie viele? Ist die Gegend eher flach oder kann sich der Schall in einem Tal zwischen Bergen ausbreiten? Wo stehen Schallschutzwände? All das wird in Berechnungen zusammengefügt.

Derzeit arbeiten die Datenanalytiker an einem Prototyp für ein Gebiet aus dem Ballungsraum Köln. Wenn das EBA grünes Licht gibt, können die Algorithmen auf das bundesweite Streckennetz angewandt werden. Zum ersten Mal werden dabei auch alle Strecken der Eisenbahnen des Bundes jenseits von Ballungsräumen und neben den Hauptrouten kartiert.

Dass es sich hierbei um eines der größten Geodatenmanagementprojekte in Deutschland handelt, machen Zahlen deutlich: mehr als 33 000 Kilometer Schienen, etwa 25 000 Brücken, 700 Tunnel, rund 14 000 Bahnübergänge, Tausende Kilometer Schallschutzwände, gut 60 Millionen Gebäude und Zehntausende Quadratkilometer Geländemodell.

Dabei liegen die Tücken oft im Detail, wie die Sprecherin erklärt. Zum einen müssten Daten vereinfacht werden, um den Rechenaufwand zu minimieren. So solle etwa der Kölner Dom mit vielen Fenstern und Verzierungen als möglichst simpler Quader in die Rechnung einfließen. Auf der anderen Seite sollen die Ergebnisse aber so genau wie möglich sein, um die Lärmbelastung für die Umwelt realistisch darzustellen. Denn auf dieser Grundlage werden weitere Schutzmaßnahmen geplant.

Die Rechenoperationen sind dann eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Die Fachleute müssen neben offensichtlichen Faktoren wie dem Gelände auch viele Details berücksichtigen wie Zuggeschwindigkeiten und Fahrpläne. Und auch Bremssysteme verschiedener Zugtypen und die Zusammenstellung von Zügen erzeugen unterschiedliche Geräusche.

Bei bestimmten Kurven werden den Angaben nach pauschal acht Dezibel für «Kreischgeräusche» zugeschlagen. Auch werde «Brückendröhnen» eingerechnet - also Geräusche, die durch Schwingungen einer Brücke entstehen, wenn Züge darüberfahren. Wobei die Datenexperten bei den Modellierungen von Brücken eh schon Unterschiede bei der Bauweise beachten müssen: etwa ob sie aus Stahl, Beton oder Mauerwerk sind und welchen Unterbau sie haben.

«Natürlich soll mehr Verkehr auf die Schiene», sagt Rödder von der Bürgerinitiative Karlsruhe-Molzau. Aber ob die zwingend durch die Gemeinden führen müssen, stellt sie infrage. «Man kann auch über eine Tunnellösung nachdenken.» Doch auch die müsste irgendwo herführen und erfordert noch umfassendere Baumaßnahmen - mit entsprechendem Krach.


Bildnachweis: © Uli Deck/dpa
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