2. Mai 2023 / Beratung und Hilfe

Langzeitarbeitslosigkeit: „Die vergessenen Verlierer“

Forum bei Pro Arbeit in Rheda-Wiedenbrück

Teilhabe und gute Arbeit ermöglichen: Mit diesem umfassenden Thema beschäftigte sich ein aktuelles Forum im Haus der Ausbildung Am Sandberg, zu dem der gemeinnützige Träger Pro Arbeit alle Interessierten eingeladen hatte. Heinrich Alt, Vorstand a. D. der Bundesagentur für Arbeit, lieferte als Referent komplexe Informationen und Anregungen.

»Im Kreis Gütersloh ist Arbeitslosigkeit öffentlich kein Thema«, stellte Klaus Brandner, Vorstandsvorsitzender des Vereins Pro Arbeit, in seiner Begrüßung fest. »Es gibt jedoch rund 9.000 registrierte Arbeitslose. Davon sind je nach statistischer Zuordnung etwa ein Drittel oder sogar die Hälfte langzeitarbeitslose Menschen.« Erwerbslose Menschen blieben demnach »im Schatten«: »Das beschäftigt uns als Pro Arbeit! Wir versuchen, mit zielgerichteten Maßnahmen eigene Beiträge zu leisten.«

Heinrich Alt, der unter anderem als langjähriger Vorstand der Bundesagentur für Arbeit die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte maßgeblich mitgestaltet hat, überschrieb seinen Vortrag entsprechend mit dem Titel „Die vergessenen Verlierer“: »Insbesondere langzeitarbeitslose Menschen kommen in der öffentlichen Debatte nicht vor. Dabei ist hinreichend belegt, dass eine langfristige Arbeitslosigkeit schlichtweg entwürdigend ist.« Die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften käme bei dieser Personengruppe nicht an. Neben der Anwerbung ausländischer Fachkräfte als möglichen, aber in der Praxis nicht ausreichend realisierbaren Ansatz zur Besetzung offener Stellen nannte Heinrich Alt als inländische Potenziale die zahlreichen Mini-Jobber, Teilzeitbeschäftigten, Alleinerziehenden, Migranten sowie jungen Menschen ohne Ausbildung: »Wo sind die Angebote, die diese Menschen erreichen?« Notwendig seien eine individuellere, ergebnisorientiertere Betreuung langzeitarbeitsloser Menschen und dazu eine Entlastung der Jobcenter, indem etwa weitere Akteure wie Werkstätten für Behinderte, Rentenkasse etc. bedarfsgerecht stärker in die Pflicht genommen würden. Auch benötigten die Jobcenter mehr Fachkräfte, um den wichtigen engen Kontakt zu den Menschen zu leisten. Es sei jedoch nicht ausreichend geregelt, wer diese Fachkräfte ausbilde und deren Ausbildung bezahle.

Als weiteren Ansatzpunkt identifizierte der Arbeitsmarkt-Experte die Aufrechterhaltung und Schaffung persönlicher Netzwerke für langzeitarbeitslose Menschen: »Viele Menschen rutschen in eine soziale Isolation. Direkte Kontakte bringen aber oft mehr als eine klassische Bewerbung: Jobs werden häufig über private Verbindungen vergeben, doch die haben viele langzeitarbeitslose Menschen kaum noch.« Integrationskräfte seien daher angehalten, ihren Klienten etwa das Engagement in Vereinen, ehrenamtliche Tätigkeiten oder andere Arten der sozialen Interaktion nahezulegen. Pro Arbeit setze dort bereits gezielt an, bestätigte Klaus Brandner: »Mithilfe einer persönlichen Betreuung sowie der Nutzung und Vermittlung von Kontakten kann die Integration in Arbeit erfolgreich gelingen.«

Auch seien viele Langzeitarbeitslose faktisch niemals zu 100 Prozent leistungsfähig, erläuterte Heinrich Alt. »Statt diese Menschen bei dem Versuch zu überfordern und den nächsten Misserfolg zu verursachen, ist eine stufenweise Integration sinnvoll. Dazu könnte nach einer Hospitation zunächst ein Praktikum anschließen, dann ein Mini-Job, schließlich eine Teil- oder Vollzeitstelle.« Zudem sei eine dauerhafte finanzielle Förderung eines solchen Arbeitsverhältnisses auf geringerem Niveau deutlich zielführender, als kurzfristig das gesamte Gehalt zu übernehmen und die Förderung dann abrupt einzustellen. Der Pro Arbeit-Vorstandsvorsitzende Klaus Brandner erinnerte in dem Zusammenhang an das Instrument „JobPerspektive“, das mit einer langfristigen Förderung entsprechend der individuellen Leistungsfähigkeit in der Vergangenheit erfolgreich Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt schaffen konnte: »Ein vergleichbares wirksames Programm fehlt momentan!«


(v. l.) Heinrich Alt, Vorstand a. D. der Bundesagentur für Arbeit, und Klaus Brandner, Vorstandsvorsitzender Pro Arbeit e. V. 

Der langjährige Vorstand der Bundesagentur für Arbeit forderte darüber hinaus eine aktivere Mitwirkung der Arbeitgeber, die zur Besetzung ihrer freien Stellen auch langzeitarbeitslose Menschen in Betracht ziehen sollten. Speziell das Vorgehen vieler Wohlfahrtsverbände und Kommunen sei dabei enttäuschend: »Langzeitarbeitslose bekommen hier oft keine Chance. Stattdessen werden Stellenanzeigen für Tätigkeiten geschaltet, für die sicherlich geeignete erwerbslose Menschen aus dem eigenen Umfeld zur Verfügung stehen würden.«
Klaus Brandner bestärkte abschließend die Forderung Heinrich Alts, Langzeitarbeitslosigkeit vermehrt zum öffentlichen Thema zu machen: »Das macht Pro Arbeit bereits, unter anderem durch diese Foren. Zudem bieten wir den Menschen praktische Begleitung in Arbeit, schaffen Netzwerke und vieles mehr – doch die dafür zur Verfügung gestellten Mittel sind gering!«

Bild oben: Informierten und diskutierten im Pro Arbeit-Forum über Langzeitarbeitslosigkeit und Wege zur Teilhabe: (v. l.) Carsten Engelbrecht (Geschäftsführer Pro Arbeit), Heinrich Alt (Vorstand a. D. der Bundesagentur für Arbeit), Klaus Brandner (Vorstandsvorsitzender Pro Arbeit), Bernd Marx (2. stellv. Vorstandsvorsitzender Pro Arbeit) und Frank Buschmann (Geschäftsführer Pro Arbeit)
 
Quelle & Fotos: ©Pro Arbeit e. V.

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